Sprühkartoffeln

1. Juli 2010 at 23:18 (Spezifisch)

Als Jonas die Sprühkartoffel erfand, ahnte er nicht, dass die Empathie, die er für seine Invention empfand gerade daher rührte, dass er in Wirklichkeit die Sprühseele erfunden hatte. Dummerweise brachte er sich, von unwillkürlichen Selbstvorwürfen zerfressen, um, nachdem er die Sprühkartoffel gekocht und gegessen hatte, daher geriet seine in einer roten Sprühkartusche befindliche Schöpfung in Vergessenheit, nachdem sie in den Besitz seines Erben, Frau Flügel, geraten war, die die Sprühseele für einen Feuerlöscher hielt und im Flurschrank deponierte. Frau Flügel verschied ihrerseits einige Jahre später und hinterließ ihre Altmütterchenwohnung und einen missratenen Sprössling, der die Wohnung unverändert ließ, da er in Indien an einer Selbstfindungs- und anschließend an einer Drogenkarriere arbeitete.

Alles hätte gut ausgehen können, doch der alte, knitterfaltige Zufall, der neben Madame Schwerkraft einer der penetrantesten Nervensägen unserer Zeit ist, wollte es anders. Und so passierte es, dass Janos, der kleine Hamster von nebenan, sich in den Staub der leeren Wohnung von Frau Flügel verirrte. Wie er dort hingeriet weiß neben dem greisen, knüllen Zufall nur er selbst, und beide sprechen (aus unterschiedlichen Gründen) nicht darüber. Irgendwie schaffte Janos es jedenfalls in einer unfälligen Verzufallskettung, in der ein Gasherd, ein kaputtes Regenrohr und Jami, die in einer hoffnungslosen Fressliebe zu Janos entbrannte Nachbarskatze eine wesentliche Rolle spielten, dass die Wohnung in Flammen aufging.

Nie würde Jerome, der Briefträger, der an diesem Tag aus Katergründen etwas später als sonst unterwegs war, vergessen, wie die Fensterscheibe der alten Wohnung barst und im Splitterregen eine brennende Katze mit weit aufgerissenen Augen und Rachen sowie ausgefahrenen Krallen auf ihn zustürzte um sich einen Sekundenbruchteil später in seinen Hals zu verbeißen. Wäre die gut gefüllte Regentonne nicht in Reichweite gewesen, hätte es böse enden können. So aber stürzte Jerome, der die Lage trotz Brummschädels und blutigen Halses erstaunlich gut einschätze, ins Haus, eine zischende, kreischende Katze hinter sich lassend, er stürmte die Treppe hinauf, trat die altersschwache Tür ein, sah in den Flammen der Wohnung, im brennenden Staub von Frau Flügels Flur, den offenen Schrank und darin den ebenfalls entflammten Hamster, und er griff beherzt nach dem daneben verführerisch glänzenden Feuerlöscher.

Regen ist eine tolle Erfindung. Er war es, der der Feuerwehr an jenem Tag fleißig zur Hand ging und am frühen Nachmittag spülte er gemeinsam mit dem Löschwasser die schwarze Asche des Staubes, des Hamsters Janos, hunderter toter, namenlos gebliebener Kartoffeln sowie Jeromes aus den Trümmern der Ruine des Hauses, in dem sich zuvor die Wohnung von Frau Flügel befunden hatte. Der Regen war es auch, der den Verlust all dieser armen Wesen beweinte, während die Feuerwehr eine stark angekokelte Katze aus einem in der Nähe wachsenden Baum rettete.

Alles hätte traurig enden können, doch der vertraute Faltenhals namens Zufall wollte es erneut anders, und er führte den verlorenen Sohn von Frau Flügel heim. Ihm fiel es zu, auf den rußgeschwärzten Steinen der Wohnung seiner Mutter, im Trip seines Lebens, die Erkenntnis des Sinns des Lebens, die Antwort auf alle Fragen überhaupt, zu finden. Leider vergaß er sie später wieder. Aber das Wissen, sie gekannt zu haben, genügte ihm um in dauerhafte, buddhistische Zufriedenheitsstarre zu verfallen. Heute gibt er Kurse in postrealer, bewusstseinserweiterter Epistemologie, und gegen eine horrende Gebühr hat er mir den ganzen Unsinn hier erzählt.

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